Kritik am Chef ja, aber nicht zu stark

Bundesverfassungsgericht: Betriebsfrieden darf nicht gestört werden

Karlsruhe (jur). Im Betrieb dürfen Arbeitnehmer den Chef zwar kritisieren, aber damit nicht massiv den Betriebsfrieden stören. Anderenfalls kann eine Kündigung gerechtfertigt sein, stellte das Bundesverfassungsgericht in einem am Donnerstag, 28. Juni 2018, veröffentlichten Beschluss klar (Az.: 1 BvR 1149/17). Dem Arbeitgeber sei dann ein solches Verhalten nicht zumutbar, „auch unter Berücksichtigung der Meinungsäußerungsfreiheit im Betrieb“, so die Karlsruher Richter.

Damit ist ein Arbeitnehmer aus Baden-Württemberg seinen Job nun endgültig los. Er war als Betriebsrat gewählt worden, die Wahl wurde allerdings als nichtig erklärt. Der Arbeitgeber kündigte daraufhin das seit mehreren Jahren bestehende Arbeitsverhältnis aus anderen, in dem Verfassungsbeschluss nicht genannten Gründen.

Die Kündigung wollte der Beschäftigte nicht auf sich sitzenlassen. Er vermutete, dass der Arbeitgeber ihn aus Angst vor erneuten Betriebsratswahlen loswerden wolle. In einem Rundschreiben an die Belegschaft äußerte er deutliche Kritik an den Verhältnissen in dem Betrieb.

Der namentlich benannte Betriebsleiter würde die Beschäftigten „wie Zitronen auspressen“. Alte, Kranke und „Verschlissene“ sowie Leiharbeitnehmer würden gegenüber der Stammbelegschaft ausgespielt. Mit den Hoffnungen von Leiharbeitnehmer oder befristet Beschäftigten werde „brutal gespielt“. Das Schreiben endete mit dem Satz: „Wer heute einem Übel teilnahmslos zuschaut, kann schon morgen selbst Opfer des Übels werden.“

Das war für den Arbeitgeber zu viel Kritik. Er nahm den Rundbrief zum Anlass für eine erneute Kündigung – zunächst fristlos und dann nochmals ordentlich.

Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht hielten die ordentliche Kündigung für wirksam. Dem Arbeitnehmer sei mit seinem Schreiben an die Belegschaft eine unzulässige Schmähkritik vorzuwerfen. Dies sei von der Meinungsfreiheit nicht mehr gedeckt.

In seinem Beschluss vom 30. Mai 2018 stellte das Bundesverfassungsgericht zunächst allerdings fest, dass eine Schmähung nicht vorliegt. Der sinngemäße Vorwurf, dass der Chef ein „Ausbeuter“ sei, sei noch keine Schmähung. Eine Schmähung liege erst vor, wenn die Diffamierung einer Person im Vordergrund stehe und nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache. Dies war hier aber nicht der Fall.

Die einzelnen Aussagen hätten immer einen Sachbezug zu den Arbeitsverhältnissen im Betrieb gehabt, etwa die betriebliche Praxis beim Umgang mit Leiharbeitnehmern oder zu Beratungen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber über eine Gesundheitsprämie. Auch müsse berücksichtigt werden, ob die

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Kritik von Beschäftigten stammt, die sich einer Betriebsratswahl gestellt haben.

Allerdings sei die ordentliche Kündigung dennoch wirksam, befand das Bundesverfassungsgericht. Die Arbeitsgerichte hätten festgestellt, dass das Schreiben in einer aufgeheizten betrieblichen Situation zu einer massiven Störung des Betriebsfriedens geführt habe. In der Gesamtsituation sei ein solches Verhalten für den Arbeitgeber nicht zumutbar, so dass auch die Meinungsäußerungsfreiheit im Betrieb hier zurücktreten müsse, so die Verfassungsrichter.